Einsparpotenzial erkennen

Der National Health Service und offene Daten

Wirkung

Bereich

Besser regieren

Gesundheit

Der Druck auf die gesetzlichen Krankenkassen wird immer größer, nicht nur in Deutschland. Bei der Verschreibung von Medikamenten sind Generika nachweislich ebenso wirksam wie deutlich teurere Markenprodukte bzw. Originalpräparate. Damit dennoch sichergestellt wird, dass jeder Patient das Medikament verschrieben bekommt, das ihm am besten hilft, steht es Ärzten frei, welches Medikament sie verschreiben. Die Praxis dieser Verschreibungen durch die Ärzte wurde aber bisher nicht analysiert, sodass zu vermuten ist, dass die Krankenkassen jährlich hohe Summen für teure Medikamente tragen müssen, weil die günstigeren, aber ebenso wirkungsvollen Generika nicht verschrieben werden.

Die beiden britischen Start-ups Mastodon C und Open Health Care UK haben gemeinsam mit dem Arzt und Pharma-Kritiker Ben Goldacre verschiedene offene Datensätze kombiniert, um regionale Verschreibungsmuster von Original- und Generika-Statinen in England zu untersuchen. Ihre Ergebnisse, die sie in einem anschaulichen Online-Tool präsentieren, machen deutlich, dass vielerorts deutlich mehr Markenmedikamente verschrieben werden, als es durch klinische Gründe erklär- und vertretbar wäre. Das Team hat sich bei ihrer Analyse auf Statine konzentriert, die zur Vorbeugung gegen Herzinfarkte und Schlaganfälle verschrieben werden und zu den teuersten Medikamenten gehören, die die Krankenkassen jährlich belasten.

Das Team hat hierfür die offenen Daten von NHS (National Health Service) verwendet, die das Verschreibungsverhalten landesweit widerspiegeln. Diese werden monatlich öffentlich zugänglich gemacht und geben die Anzahl und Kosten der NHS Verschreibungen jedes einzelnen Doktors in England wider.

Von der Analyse des Verschreibungsverhaltens profitieren zunächst einmal die gesetzlichen Krankenkassen, wenn Ärzte dadurch angeregt werden, die massenhafte Verschreibung von teuren Markenmedikamenten zu überdenken. Sie werden entlastet, können das Geld an anderer Stelle sinnvoll einsetzen und Beitragserhöhungen für die Versicherten vermeiden. Selbstverständlich gibt es Fälle, in denen auf solche teuren Medikamente zurückgegriffen werden sollte, beispielsweise bei vorliegenden Unverträglichkeiten. Bei allen anderen Patienten liegt es allerdings nahe, dass Generikamedikamente – die nachweislich ebenso wirkungsvoll sind – verschrieben werden sollten. So profitiert das gesamte Gesundheitssystem, allen voran die Patienten.

Ben arbeitet als Arzt in einem Londoner Krankenhaus und jeden Tag verschreibt er seinen Patienten eine große Zahl von Medikamenten zu ihrem Wohlergehen. Nach vielen Jahren Berufserfahrung weiß er, dass jeder Arzt seinen eigenen Erfahrungsschatz mit der Verschreibung von Medikamenten besitzt und darum auch unterschiedliche Medikamente präferiert oder für sinnvoll erachtet.

Von einem Kollegen aus der Chirurgie bekommt er einen Artikel im “The Economist” empfohlen, der über ein neues Analysetool für das Verschreibungsverhalten von Ärzten in Großbritannien berichtet. Darin geht es vor allem um die Frage, wie oft Generikastatinen gegenüber den Orginialpräparaten verschrieben werden. Statine werden vor allem im Zusammenhang mit Herzinfarkten verwendet, z.b. zur Prävention oder Prophylaxe nach einem Infarkt. Ben weiß, dass die Statine für die Krankenkassen besonders teure Medikamente sind, aber seiner Erfahrung nach müssen sie im Krankenhausalltag auch sehr häufig verschrieben werden. Außerdem hat er als Arzt die Wahl, ob er die für die Krankenkassen sehr teuren Originalpräparate oder die wesentlich günstigeren Generika verschreibt, die nachweislich ebenso wirksam sind.

Der Artikel im “The Economist” berichtet Ben, dass zwei britische Startups mithilfe der offenen Datensätze des National Health Service landesweit das Verschreibungsverhalten von Statinen – Generika und Originalpräparaten – untersucht und ein Einsparpotential von £200 Millionen pro Jahr errechnet haben, für den Fall, das jeder Arzt Generika Statine statt der Orignialpräparate verschreiben würde. Das jeder Arzt selbst darüber entscheiden kann, welches Medikament er einem Patienten verschreibt findet Ben völlig richtig, denn als Arzt kann er am besten abschätzen, was für den jeweiligen Patienten am besten ist. Als er aber unter www.prescribinganalytics.com die eingefärbte Karte Großbritanniens sieht, die das Verschreibungsverhalten der Ärzte widerspiegelt, ist er doch überrascht und auch verärgert. In einigen Regionen, z.B. rund um die Stadt Leeds im Norden Großbritannien, sind knapp ein Drittel der verschriebenen Statine teure Originalpräparate. Natürlich gibt es Fälle, beispielsweise bei Allergien oder Unverträglichkeiten, in denen ein Arzt die bis zu 20-fach teureren Originalpräparate verschreiben würde, aber knapp 30% sind dadurch eindeutig nicht zu rechtfertigen. Als Arzt ist Ben dazu angehalten, die deutlich günstigeren Generika zu verschreiben, sofern keine Einwände vorliegen, und daran orientiert er sich auch. Von seinem Alltag im Krankenhaus weiß Ben nur zu gut, unter welchem finanziellen Druck das Gesundheitssystem steht. Das Gesundheitssystem ächzt bereits jetzt unter den Belastungen und Ben weiß, wie wichtig es ist, dass gute Krankenversicherungen bezahlbar bleiben. Zu sehen, wie unachtsam offenbar zahlreiche Ärzte im Land mit den Kosten für die Krankenkassen umgehen, macht ihn wütend. Er teilt den Artikel und die Webseite, die die beiden Startups Mastodon C und Open Health Care UK erstellt haben in seinen sozialen Netzwerken und empfiehlt sie weiter an Freunde und Kollegen. So hofft er, dass noch mehr Ärzte darauf aufmerksam werden und ihre Verschreibungspraxis überdenken. Eine kleine Veränderung die jeder Arzt vornehmen kann, keinen schlechter stellt und eine große Entlastung für das Gesundheitssystem bedeutet. In Zukunft will die Startup Kooperation das Verschreibungsverhalten für noch mehr Medikamente analysieren. Ben ist gespannt, welche Ergebnisse das hervorbringen wird, auch wenn er der Meinung ist, das Ärzte in jedem Fall selbst weiterhin entscheiden sollten, welche Medikamente einem Patienten am besten helfen. Er selbst wurde durch die Initiative auf jeden Fall für sein eigenes Verschreibungsverhalten erneut deutlich sensibilisiert und er hofft, dass es vielen Ärzten so ergeht.

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